Ein Vorwort

Natürlich war die Idee, mitten im Juli, der heißesten Zeit des Jahres, einer Zeit, in der die Niederschlagswahrscheinlichkeit ins Negative geht, mit dem Rad in den äußersten Süden zu fahren, vollkommener Irrsinn. Niemand sollte sich den Strapazen einer 100 km-Etappe bei 45 Grad trockener Hitze aussetzen. Es sei denn, er fährt für die Telekom, bekommt eine Million Euro dafür und hat sein Blut mit Epo getuned.

Ich fahre nicht für die Telekom, anstatt es zu bekommen, habe ich für den ganzen Trip eine Menge Geld bezahlt und das einzige Tuning, das ich meinem Körper zukommen lasse, sind Brausetabletten mit Magnesium.

Aber natürlich bin ich stolz auf meine Leistung - 760 Kilometer durch ein Land gefahren zu sein, das sich ab 12 Uhr komplett in kühle Häuser zurückt zieht und erst ab 15:30 Uhr wieder die Rolläden öffnet. Mitunter war ich stundenlang der einzige Mensch auf den Straßen, bekam niemanden zu Gesicht. Selbst scharfe Wachhunde zwinkerten nur benommen mit den Augenlidern, bevor sie dieses ungewöhnliche Gefährt unbehelligt weiterziehen ließen, anstatt es - wie üblich - eine Weile mit drohendem Gebell zu begleiten.

Es war ein wunderschöner Trip, voller bewegender Momente, atemberaubender Panoramen. Voller Leiden bei steilen Aufstiegen, die auch einem Alp d´Huez in nichts nachstehen würden, bei rasanten Abfahrten durch haarsträubende Serpentinen, bei denen ich mir vorkam, wie ein Eurofighter-Pilot im Nahkampf. Ich traf viele - eigentlich nur - liebenswerte, nette Menschen, die viel, sehr viel lachten, die stets hilfsbereit waren und ... ich wählte oft die schwierigere Strecke, um mehr zu sehen, von diesem Land.

Portugal, von dem man so viel hört, dessen Speisen man schon so oft im Restaurant aß, aber das man eigentlich doch gar nicht kennt. Ich wünsche viel Spaß bei Recumbently Portugal und ... alles hier ist gern zum Nachahmen empfohlen. Aber mit Vorsicht zu genießen.

Ich weilte insgesamt 12 Tage in Portugal, von denen ich 7 Tage auf meinem Liegerad HP Velotechnik Speedmachine verbrachte. Jeweils 2 Tage in Lissabon und Porto tat ich nichts, als Tourist zu sein und ein Tag Ruhe in Castelo Branco, im heißen Inland, zwischen den Bergetappen, gönnte ich mir auch.

Die 7 Etappen gliedern sich in 4 flache und 3 Bergetappen auf - wobei das Wort "flach" im Zusammenhang mit Portugal mit Vorsicht zu genießen ist. Denn schon sehr schnell lernte ich meine erste Lektion: Portugal ist ein einziger Berg. Hat man den einen überwunden, bekommt man dafür zwei neue aufgetischt. Wer im flachen Land fahren will, der hat hier definitiv den falschen Flieger bestiegen.

Ich fuhr am Tag rund 6 Stunden, wobei ich immer gegen 8 Uhr gestartet bin. Bis 11 Uhr ist das Wetter - vor allem an der Küste - sehr schön. Vom Meer weht frischer, feuchter Nebel ins Land und die Sonne kann noch nicht allzuviel ausrichten. Dann allerdings wird es kriminell - im Inland gern auch schon ab 9. Dann glüht Portugals Sonne unbarmherzig bis 16, 17 Uhr und man muss sich entscheiden, wie man es handhaben will.

Man kann ab 12 bis 14 Uhr Siesta machen, sich unter einen großen Eukalyptusbaum legen und dösen, etwas Leichtes essen und dann weiterfahren. Kann man. Hab ich aber nie gemacht. Ich habe mir einen Zentimeter Sonnencreme aufgespachtelt und bin durchgefahren. Durch die unerträgliche Mittagshitze genauso, wie durch die paar Stunden bis Sonnenuntergang, wenn die Sonne zwar an Macht verliert, dafür der Boden, die Felsen und vor allem der Asphalt die gesammelte Wärme wie Unterhitze im Backofen abgeben.

Ich wollte ankommen, nicht rumhängen. Das war bestimmt nicht die klügste Entscheidung, weil ich meinem Körper enorme Strapazen zugemutet habe, mehr als einmal vor einem Hitzeschlag stand. Aber für mich ist Radfahren mehr, als nur das Verbinden von Punkt A mit Punkt B.

Es geht mir um zwei Dinge: Das Erleben von Natur. Und das Erleben meines Körpers.

Zum Erleben der Natur ist das Rad genau das richtige Fortbewegungsmittel. Man ist unmittelbar im Geschehen, kein Blechkleid trennt einen von dem, was einen umgibt. Wind, Wetter - und eben auch die Hitze - können ungefiltert erfahren werden. Gerüche, Geräusche, mit all dem kann man sich auseinandersetzen, denn man hat Zeit, ist langsam genug, nachzudenken, zu genießen, genau zu beobachten. Und man ist trotzdem schnell genug, um Gebiete zu durchfahren, die genug Abwechslung in ihrem Erscheinen bieten, dass es nie langweilig wird. Wandern, Laufen, ist da viel zu langsam. Autofahren viel zu schnell, viel zu abgeschottet, viel zu unpersönlich. In einem Auto fährt man - mit einem Rad reist man.

Was das Erleben des Körpers angeht, nun, da gehört zuerst natürlich die Veränderung hinzu, die der Körper durchmacht, wenn er gefordert wird. Wie reagieren meine Muskeln, mein ganzer Bewegungsapparat, wenn ich ihn diesen Belastungen aussetze? Wie fühlt sich das an, diesen Körper eine 10%-Steigung hinaufzuprügeln? Wie ist das, wenn ich bei 45 Grad Hitze im Schatten durch die pralle Sonne fahre?
Das Leid gehört - bis zu einem gewissen Grad - mit hier her. Leiden, fast schon Qualen, machen das ganze für mich so lebendig. Ich mühe mich ab, um ein Ziel zu erreichen. Das Schöne und das Unschöne unmittelbar nebeneinander.

Stechenden Schmerz in den Lungen zu fühlen und sich gleichzeitig an einem atemberaubenden Panoramablick mit über 100 km Sichtweite zu erfreuen - wo hat man das schon?

Ich lag insgesamt 37 Stunden im BodyLink-Sitz meiner Speedmachine, schleppte das 14 kg schwere Rad mit mir 60-Kilo-Leichtgewicht und 25 kg Gepäck über exakt 761 km durch Portugal, überwand mindestens 100 Berge, wobei sich gern mal 500 bis 600 Höhenmeter vor mir auftürmten, durchfuhr dabei unzählige enge Serpteninen und kam auf den rasanten Abfahrten auf maximal 66,85 km/h.

Dieser Blog gibt die Texte wieder, die ich während der Reise immer nach meiner Ankunft am jeweiligen Etappenziel geschrieben habe - ich übernehme die Texte unverändert. Wer sie nacheinander liest, wird vielleicht bemerken, wie sich Veränderungen aufgrund von Erfahrungen einstellen. Wie Euphorie vielleicht umschlägt. Wie Superlative egalisiert werden. Wie an jedem neuen Tag das vom gestrigen ad absurdum geführt wird. Auch das ist Radfahren - Abenteuer. Nicht zu wissen, was morgen kommt und deshalb die Freiheit zu haben, das Heute mit großen, staunenden Augen zu sehen und aufzusaugen, zu genießen.

Für alle, die sich auch auf eine solche oder ähnliche Tour machen wollen, folgt eine kleine Beschreibung meiner Ausrüstung, die ich (mehr oder weniger nützlich) mitnahm und am Ende ein kleines Portugal-ABC.


Viel Spaß - ich hatte ihn jedenfalls.