Tag 10 / Etappe 7 "Irrungen und Wirrungen"


Furadouro - Espinho - Porto

An Aufstehen ist heute morgen kaum zu denken - mein Schädel brummt. Es kann an dem vielen Bier liegen, das ich gestern aus Marie-Louises Schatzkammer trinken durfte. ("Echtes, deutsches Bier!") oder daran, dass ich nach den Nächten in der trockenen Inlandsluft die feuchte Atmosphäre, die hier, keine 200 Meter vom Strand entfernt, durch die Maschen meines Zeltes weht, nicht mehr gewöhnt bin. Ich weiß es nicht.

Mein Handy zeigt 6:30 Uhr. Gut, also kann ich noch eine halbe, vielleicht eine Stunde dösen, schlafen. Ich nicke ein.
Und wache Viertel vor 8 auf.

Meinen Kopf stecke ich verschlafen durch die Zeltplane und in eine weiße Nebelsuppe. Reminiszenzen an (sich so weit, weit vergangen anfühlende) Tage in Ericeira und Sáo Martinho schlürfen Träge durch mein Hirn, als ich mich knarzend durch den feuchten Zelteingang pelle.

Guten Morgen!

Ich wasche mich, putze den Schlaf aus Augen und Zähnen, ziehe mich an, creme mich ein - Standardprozedur. Schon so oft gemacht auf dieser Tour, ich könnte das im Schlaf. An Frühstück ist hier nicht zu denken - wie der Nebel, so liegt auch eine dicke Decke aus genüsslichem Schweigen über dem ganzen Platz. Niemand ist hier wach - warum sollte da der Supermarkt, geschweige denn das Café geöffnet haben?

Nach 40 Minuten ist alles verpackt und nur eine etwas zusammen gedrückte, viereckige Rasenfläche deutet an, dass hier heute jemand übernachtet hat. Surrend fährt die Speedmachine vom Platz, ich grüße in Gedanken Marie-Louise, es war schön bei Dir, Danke fürs Abendessen, Deine Slow-Food-Bohnen waren einfach deliziös.
Der verschlafene Platzwächter öffnet mir den Schlagbaum - Straße, du hast mich wieder.

Heute steht eine kurze Etappe an. Ein Katzensprung. Nicht mehr als 60 Kilometer dürften es bis Porto sein, meinem Endziel. Zunächst fahre ich eine Weile durch den Wald. Morgens eine Wohltat.
Aber dann habe ich schnell die Straße in die Stadt erreicht - und trotzdem es so früh am Morgen ist, ein ganz ungewohntes Bild, wimmelt es nur so von Autos und vor allem LKW auf den Fahrbahnen. Ganz Porto scheint raus zu wollen - und an seiner statt scheint es, als strömen ebensoviele neue Bewohner in die Stadt.

Es ist kein schönes Fahren, zumal die Straße über einen Seitenstreifen von nur 20 cm Breite verfügt - zu klein also, um sich vom motorisierten Verkehr fern zu halten. Und so muss ich leider auf der Fahrbahn fahren - und stetig den Sicherheitsblick im Rückspiegel haben. Alle halbe Minute rauscht ein Auto an mir vorbei, auch in Kurven, was das Fahren nicht entspannter macht.

Auch ist die Kulisse, durch die ich komme, wenig attraktiv. Man merkt, dass hier keine ländliche Touri-Entspannung, sondern harte Arbeit angesagt ist. Alles ist weniger schick, abgelebter, realer auch irgendwie. Hektik bestimmt den Rhythmus. Auch, als ich anhalte, um mein "Atomkaffee+Nata"-Frühstück einzunehmen. Freundlich, aber schnell werde ich bedient, während ich draußen auf der Terrasse den heißen Kaffee meine Kehle hinab laufen lassen, zieht der rege Verkehr an mir vorbei.
Ich brauche ewig, sitze ein paar Minuten in Rad, ready to go, aber es bietet sich keine Lücke. Bis ich einfach losfahre, dabei meinen Arm hebe um Signal zu geben. Sie halten an - ohne Murren oder Hupen - ich ordne mich ein und fahre. Geht doch!

Espinho, die letzte Stadt vor Porto, ist schnell erreicht. Ich weiß das nur, weil es an einem Ortseingangsschild steht - die Strecke ist so zugebaut mit Häusern, dass ich es sonst nicht gemerkt hätte.

Alle Straßen scheinen auf die neue Autobahn nach Porto zu führen - die ich nicht nutzen darf. Ich bin verwirrt, ein ums andere Mal biege ich falsch ab und immer komme ich auf monstergroße Kreisel, die auf den Highway führen. Dann schaut alles - wie immer - und staunt, ich schieße in den Kreisel, ziehe eine Schnute, drehe eine Ehrenrunde und fahre die Strecke wieder zurück. So passiert mir das geschlagene drei mal, bis mich endlich ein junger Herr Apotheker, der von der Frau, die ich angesprochen hatte, aus seinem Laden geholt wird, weil er Englisch spricht, mir den richtigen (irgendwie auch logischen) Tipp gibt: Am Strand langfahren, bis es nicht mehr geht. Dann rechts (links ist ja das Meer) und dann ist dort auch schon Porto.

Zunächst aber verstehe ich den jungen Mann kaum. Für mich hört es sich so an, als sage er:
"I´m gonna send you to the Bitch."
WIeso? Nee, lass mal, Danke, ich will nach Porto, nicht zu den Schlampen ...
"You go to the Bitch and then to Porto." insistiert er.
Man, ja, ist echt lieb, aber ich würde gern gleich nach Porto.
"You cannot miss the Bitch."
Nee, klar ...
Bis mir ein Licht aufgeht, und ich merke, dass seine "Bitch" eigentlich der "Beach" ist. Ich bin beruhigt und fahre los. Schlampen gibts in Hamburg auf dem Kiez genug, denke ich mir, sehne mich kurz nach dem Hans-Albers-Platz und Party, aber trete dann kräftig in die Kurbel. Es ist 11 Uhr, nicht allzu heiß und ich komme schnell voran.

Wenn ich mich am Anfang dieser Etappe noch über die lückenlose, unschöne Bebauung bei Porto geärgert habe, ärgere ich mich nun, dass ich nicht schon die ganze Zeit am Bitch entlang gefahren bin: Hier, direkt am Strand, ist die Promenade sehr schön ausgebaut, alles sieht nach Urlaub aus, es gibt sogar wieder einen Radweg (der freilich massenhaft von den Badegästen genutzt wird) und keinen einzigen LKW.
Ich fahre gemütlich, 18 km/h oder so. Denn ich genieße. Hinten im Dunst glaube ich schon Porto zu erkennen, also muss ich heute nicht unbedingt einen neuen Rekord aufstellen.

In einem Mercado hole ich mir zwei Bananen und eine Packung Müsliriegel - Hunger macht sich breit. Die Speedmachine glänzt in der Sonne, als ich mich anlehne und einfach den Tag genieße. Die Brandung wäscht den feinen Strand hinauf, dann und wann schreit ein Kind nach seiner Mutter, Badegäste flannieren die Promenade auf und ab, Verliebte küssen sich. Es ist ein herrlicher Tag und zum ersten Mal während meines ganzen Aufenthaltes sehe ich Wolken am Himmel - die leichte Bewölkung hält einen Großteil der Hitze fern, sodass es heute angenehm warm ist, ohne dass gleich alles verdörrt.
Es riecht lecker nach Salz, eine Wohltat, nach der trockenen, zuweilen scharf-eukalyptushaltigen, Killerluft des Inlands.

So mache ich mich gemütlich auf die letzten paar Kilometer. Porto liegt an der Mündung des Rio Douro in den Atlantik. Wie mit der Apothekersjüngling schon sagte, geht es irgendwann nur nach rechts. Ich folge einem super ausgebauten Radweg, biege in das Delta ein. Neben mir erstreckt sich eine riesige Sandbank. Ebbe?
Fahrradfahrer trifft man auch wieder mehr, sogar Jogger und andere exotische Sportler sieht man. Dennoch - mein Liegerad erregt selbst hier wieder großes aufsehen. Sogar eine ganze Schulklasse dreht sich geschlossen nach mir um, der Lehrer unterbricht seinen Satz und wartet, bis ich außer Sichtweite bin.

Dann erblicke ich Porto. Das steil ansteigende Douro-Tal wird überspannt von der berühmte Stahlbrücke Ponte Dom Louís I, die gewagt und filigran stahlgrau aus dem Dunst auftaucht. Langsam, nun auf einem Weg aus Holzbohlen, nähere ich mich der Stadt.
Keine "Weiße Stadt" wie Lissabon, das sieht man auf dem ersten Blick.
Aber eine mindestens ebenso Schöne, das ist auch klar.

Ich brauche eine Viertelstunde langsamer Fahrt, bis ich die Stahlbrücke erreiche. Neben mir, auf der Straße, tobt ein heftiger Stau. Hoffnungsloses Verkehrschaos, denke ich mir, bis ich realisiere, dass ich auch über die Brücke muss. Aber wenigstens ein Erlebnis.
Ich reihe mich ein in den Stau und brauche für die knapp 200 Meter über den Fluss gute 20 Minuten. Wobei ich diese - leider im Smog liegend - versuche, so gut wie möglich zu nutzen, und die Aussicht von der Brücke zu genießen.

Unter mir zieht eine irre starke Strömung auf den Atlantik hinaus. Es dümpeln die klassischen Portwein-Boote herum, Touristen schlängeln sich am Ufer entlang. Ein perfekter Urlaubstag. Und schließlich erreiiche ich auch das andere Ufer, muss kurz durch einen Tunnel und befinde mich schon in der Altstadt.

Grobes Kopfsteinpflaster!
Steigungen von Höllenberg-Niveau!
Verkehr wie in Manhattan!

Im kleinsten Gang (ich wage es einfach mal und schalte auf das kleine Blatt) strample ich mich die Höckerpiste zur Freude aller Anwohner hinauf. Zum Glück ist mein Hotel sofort ausgeschildert, sodass wenigstens hier keine Probleme zu erwarten sind. (Und das muss ich mal sagen - Portugal hat eine super Beschilderung! Man findet immer sofort alles. Da können wir uns mal ein Beispiel dran nehmen!)
Schweißnass, denn auf Kopfsteinpflaster wird jede Steigung zur Tortur, erreiche ich mein Hotel. Es ist das Dom Henrique, ein 4-Sterne-Laden auf einem der Hügel Portos, ein Betonturm, nicht sehr schön, aber wuchtig.
Ich schiebe die Speedmachine in die prunkvolle Lobby.
Werde angenehm begrüßt.
Gehe an die Rezeption, lege die ID auf den Tisch und stelle mich vor.

Der freundliche Herr sagt mir, dass er keine Reservierung für mich hat.

Ich habe nicht richtig verstanden? Doch, habe ich, er hat keine Reservierung für mich. Ich bleibe zunächst ruhig, ziehe Helm und Handschuhe aus (hier gehe ich nicht weg!) und bitte ihn, noch einmal genauer in seinen Computer zu schauen.
Immerhin hatte ich einen regen E-Mail-Wechsel mit dem Hotelmanager und der hat mir schon vor Wochen bestätigt, dass alles fein sei.
Ich frage, ob denn mein Paket aus Lisabon, ein riesiges aus Papp-Karton, angekommen sei. Der Mann hinter dem Marmorungetüm schüttelt den Kopf. Ich schaue noch einmal an die Tresenfront - vielleicht bin ich ja falsch?
Hotel Dom Henrique - nein, ich bin richtig.
"I´m sorry, Sir, but i don´t have a reservatioon for you." sagt er noch einmal.
Ich glaube, ich muss mich übergeben.
Dann erzähle ich ihm lieber das vom Manager, und dass er doch ihn bitte mal fragen könne. Ich glaube derweil, dass ich im falschen Film bin.

Der Manager ist schnell zur Stelle, nennt mich beim Namen, begrüßt mich herzlich.

Und dann fragt er, warum ich einen Tag zu früh anreise.

Wie? Was? Zu früh? Der freundliche Herr nennt mir das Datum. Ich schaue auf mein Handy. Und siehe da - er hat Recht! Ich bin tatsächlich einen Tag zu früh angereist! Ich entschuldige mich tausendfach, das Zimmer wird umgebucht, alles läuft fein.
Aber ich ärgere mich fast zu Tode, ich könnte mich schlagen - wie konnte das nur passieren? Wie kann man auf einem solchen Trip einen ganzen Tag verdaddeln? Was hätte ich noch alles sehen können, wenn mir klar gewesen wäre, dass ich noch einen ganzen Tag habe?

Ich hätte eine Extraetappe von 100 km fahren können.
Oder einen Tag länger am (anzunehmenderweise) schönen Strand von Furadouro bleiben können.
Ich bin ein Depp!

So sitze ich im heißen Bad meines tollen, riesigen Zimmers im 15ten Stock (mit einer herrlichen Aussicht) und bin einfach nur genervt von mir Planungsgenie. So kanns kommen.
Am Abend turne ich noch einige Stunden durch Porto, gehe lecker essen und kann trotzdem nicht aufhören, mich über mich selbst zu ärgern. Aber ich kann mich freuen, denn morgen kommt Alexandre, mein portugiesischer Freund, und wird mir seine Stadt zeigen.

Heute die Etappe war freilich komplett für den Arsch - in jeder Hinsicht. Aber nach so viel tollen Tagen musste es ja so kommen.


Gefahren: 50,73 km in 2 h 35 min und 19,54 km/h Schnitt

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