Aufstehen um 4 Uhr macht keinem Spaß. Aber erstaunlicherweise fühle ich mich erstaunlich fit - denn vor großen Reisen schläft es sich erfahrungsgemäß nicht sehr gut.
Am gestrigen Abend hatte ich noch die Zeit genutzt, um meine Sachen zu packen und das Rad klarzumachen für seine Reise. Für seine zwei Reisen: Denn bevor ich es würde durch Portugal reiten können, würde es im Frachtraum meines Flugzeuges platz finden müssen. Und da ich meine Speedmachine liebe, wollte ich ihr den gleichen Komfort angedeihen lassen, wie ich ihn haben würde. Naja, soweit man in der Economy von Komfort sprechen kann.
Und so verbrachte ich einige Stunden damit, das Rad zu putzen, eine extrastarke Schicht lackschützendes Wachs aufzutragen, alle beweglichen Teile zu ölen, Kette, Umwerfer und Ritzel noch einmal zu reinigen und zu wachsen. Kurz - das Rad gläzte wie neu.
Dann ging es ab in seinen Karton.
Den hatte ich im Internet bestellt. Ein Monstrum aus Pappe. Der Aufbau dauerte fast eine ganze Stunde, aber es lohnte sich - passte doch das gesamte Rad hinein, ohne dass ich Pedale oder Ähnliches hatte abschrauben müssen. Die Räder ruhten in Extrakartons, die das Fahrrad als Ganzes in der Mitte des Kartons zentrierten. Ein dritter Karton umfasste den Sitz, sodass das Rad fest und sicher stand. Ich stellte nur den Lenker schräg, verstaute neben dem Rad noch Zelt, Schlafsack, Isomatte und einiges Kleinzeug im Karton, verschloss alles sachgemäß und brachte es mit einem Kurierdienst zum Airport.
Den Rest meiner Ausrüstung hatte ich in die Radtaschen gepackt und ebenfalls zum Flughafen mitgenommen. Der Vorabend-CheckIn ist etwas ganz Tolles - denn so würde ich am Tag der Abreise nur mit meinem Fotoapparat ausgerüstet an Bord gehen können.
Was ich auch tat.
Der Flug mit TAP Portugal verläuft perfekt. Belgien und Frankreich liegen noch unter einer dünnen, aber dichten, Schäfchenwolkendecke, Spanien dafür ist klar und deutlich zu erkennen - ich sehe Gebirgszuüge, ausgedehnte Flächen der Pampa und stimme mich so auf das ein, was mich in Portugal erwarten wird.
Wir setzen in Lissabon zur Landung an. Zunächst fliegen wir in geringster Höhe über die Stadt hinweg. Prächtig in Weiß liegt sie unter uns, verteilt sich auf viele Hügel. Davon hatte ich schon gelesen. Der Flieger fliegt raus aufs Meer, geht in eine steile Kurve und nimmt so Kurs auf den Lissaboner Airport. Es wird unruhig im Flieger. Winde greifen nach dem Flugzeug, es geht rauf und runter, mal hängen wir schräg links, mal schräg rechts in der Luft.
Ich hatte gelesen, dass Lissabon einer der windigsten Orte zum Landen ist. Das dürfte interessant werden ...
Tatsächlich setzt der Flieger nach ewigem Gekurbel und zigmaligem Korrigieren der Flugbahn in einem ziemlich verrückten Winkel zur Landebahn aufgesetzt - butterweich. Portugiesische Piloten gelten nicht nur Madeiras wegen als die besten der Welt.
Ich stehe am Gepäckband und erhalte ziemlich schnell meine Tasche. Alles fein. Dann begebe ich mich zu "Oversized Luggage" und warte auf mein Rad. Wird es den Flug überstanden haben? Und wenn ja, wie? Nach und nach bringen Mitarbeiter die Gepäckstücke, die nicht der Norm entsprechen, heraus. Kinderwagen, große Kisten, sogar ein Komode ist dabei. Aber nicht der Riesenkarton mit meiner Speedmachine.
So stehe ich da, fast eine Stunde lang. Mein Taxifahrer, den ich extra mit einem großen Transporter via E-Mail bestellt hatte, wird längst schon weg sein.
Ich gehe zu "Lost & Found", eine spontane Eingebung. Und da finde ich es dann auch. Mein Karton. Er steht da. Ziemlich ramponiert. Aber Gottseidank ist nichts Ernstes passiert, ich werde ihn wohl für den Rückflug etwas stärker präparieren müssen, aber sonst ist alles glatt gelaufen.
Draußen halte ich Ausschau nach dem Taximann. Der ist, wie befürchtet, schon längst weg. Mir hilf eine freundliche Stadtbedienstete, die für mich ein Großraumtaxi bestellt, in das gerade so das Rad passt. Auf den Karton muss ich ja nun keine Rücksicht mehr nehmen - und zwänge auch die letzte Ecke unter würgen und brechen in den Truck. Dann gehts auf zum Hotel.
Es ist heiß in Lissabon. Sehr heiß. Und dazu - das ist in Noreuropa, vor allem in Hamburg, nicht so - vor allem ist es trocken. Bald schon brennt mir die Kehle. Gottseidank weht in der ganzen Stadt ein stetiger, kühlender Wind. Egal wo man steht, unten, oben, hinter einer Ecke oder wo auch immer - ständig weht es. Und das nicht zu knapp. Vorboten einer Windtour hier in Portugal? Ich weiß es nicht.
Es ist knapp 11 Uhr und mein Zimmer ist noch nicht bezugsfertig. Und so stelle ich alles im Hotel ab - man ist sehr freundlich hier - und beschließe, ein wenig die Stadt zu erkunden. Zeit genug ist ja. Es ist gerade Siesta, kaum ein Laden hat geöffnet und auf den Straßen herrscht wenig Verkehr. Ich folge einigen größeren Avenues, erreiche den Parque Eduardo VII, der großzügig hoch oben über der Altstadt thront und in die Avenida Libertade, der Hauptachse der Stadt, mündet. Ich habe einen fantastischen Blick auf die Bucht, auf Bairro Alto, dem berühmten Altstadtviertel und verstehe langsam, warum man Lissabon auch "Die Weiße" nennt - unglaublich klar, ungetrübt der Blick bis in weiteste Ferne - und daher strahlend weiß die Häuser.
Ich gehe die Hauptstraße heran, will ans Wasser. Fast 5 km Weg, aber die schrecken mich nicht. Eher die Hitze, die nach viel Flüssigkeit verlangt, die es aber allenthalben in den kleinen Cafés - Pastelaria genannt - und Kiosken für wenig Geld gibt. Unten am Wasser habe ich einen herrlichen Blick auf die "Golden Gate Bridge", die tatsächlich wie ihr großer Bruder in San Francisco aussieht. Kein Wunder, hatte doch die selbe Firma diese Brücke erbaut. Drüben, auf der anderen Seite, grüßt ein Mini-Jesus, wie er in Rio auf dem Zuckerhut steht. Schön, diese Tradition, Verbindungen ans andere Ende der Welt.
Lissabon ist so, wie man es in all den Filmen gesehen hat: Steile Hügel, enge, verwinkelte Gassen. Überall sitzen Menschen und sprechen miteinander und immer dringt von irgendwoher traditionelle Musik ins Gehör. Dabei ist Lissabon nicht laut. Schon gar nicht hektisch. Mir fallen die vielen jungen Menschen auf.
Schließlich schlendere ich ins Bairro Alto, jenem Ort, den man noch am ehesten mit Lissabon verbindet. Hier sind die Berge am steilsten, die Gassen am engsten und die Häsuer die ältesten. Und, das muss ich sagen, nachdem ich eine kleine Pastelaria geau auf er Spitze des Bairro-Hügels entdeckt und einen der Plätze ergattert habe, hier trinkt es sich auch das eisgekühlte Sagres am besten. Mit Blick hinab in die Bucht über ein Meer von Dächern. Nebenan musiziert ein Freestyler auf einem Schlagzeug - treibende Rhythmen kombiniert er mit Jazz, eine kleine Meute junger Menschen feuert ihn an.
Portugiesen scheinen leidenschaftliche Raucher zu sein. Kaum jemand, der nicht rauchen würde. An jedem Ort, zu jeder Zeit. Männer, Frauen, ob jung ob alt. Das stört mich sehr, vor allem in den Cafés oder beim Essen. Vielleicht nur Modewelle, vielleicht, wie man es von Spanien her kennt, einfach fest verwurzelte Leidenschaft. Ich muss das nicht haben und verziehe mich sogleich aus den stinkenden Schwaden. Das Bier ist mir bei dieser Hitze eh schon zu Kopf gestiegen.
Während ich so zurück laufe, merke ich, um wie viel sich diese europäische Metropole sich doch von anderen Städten dieser Art abhebt. Hier haben Worte wie "Hektik" und "Geschäftigkeit" eine ganz eigene Definition, eine ganz eigene Geschwindigkeit. Man fleißig hier, jeder hat immer irgend etwas zu tun - aber man tut es ruhiger, gelassener.
Mich fasziniert diese Mischung, mit der die Stadt aufwarten kann - neben zweihundert Jahre alten Häusern und ihrer traditionellen Azulejo-Verkleidung (Azulejos sind diese bunten, reich verzierten Fliesen, die man zur Kühlung an den Häusern anbringt) stehen moderne Stahlgrasbauten, die das Bild dennoch nicht zu zerstören vermögen. Klar, hier und da ragen auch mal Betonmonster aus den Achtzigern empor, aber vor allem die Altstadt kann mit einem Charme aufwarten, der grenzenlos zu sein scheint. Wie das hier nachts aussehen muss ... darauf freue ich mich schon.
Als ich mein Hotel erreiche und das Zimmer - toll ausgestattet, ich freue mich vor allem über die Minibar - erobere, wird mir klar, dass ich in den Stunden, die ich nun hier bin, erst 3 Fahrräder in der ganzen Stadt gesehen habe. Eins parkte vor einem Laden, das zweite war klapprig und wurde von einer älteren Mutti gesteuert, die den Tageseinkauf nach Hause wackelte und das dritte war ein Rennrad, das sich das huckelige Pflaster emporkämpfte, getreten von einem fast schon schwarz gebrannten Portugiesen in voller Radlermontur. 3 Radfahrer also heute.
Mein Marco Polo-Führer hatte angedeutet, dass die Portugiesen leidenschaftliche Radfahrer sein würden. Na, vielleicht schauen die ja auch alle gerade die Tour de France ...
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen