Tag 2 "Sightseeing ... und wann gehts endlich los?"

Schön ausschlafen, das ist heute morgen die Devise. Die beiden Tage Lissabon dienen zwar auch dem touristischen Erkunden dieser Stadt, von der man schon so viel gehört hat, aber auch der Aklimatisierung - ich will mich an die Hitze und die besonderen Luftfeuchtigkeitsverhältnisse gewöhnen, bevor ich aufs Rad steige, losfahre und hinterher zusammenklappe, weil ich meinem Körper nicht genug Zeit gegeben habe, sich an all das hier zu gewöhnen.

Nachdem ich gestern rund 8 Stunden durch die Stadt zu Fuß gelaufen bin, viel gesehen habe (und Marco Polo sagt, es sei unmöglich, Lissabon by foot zu entdecken ...) und viel fotografiert habe, fielen mir selbige gestern Abend vor Schmerzen fast ab. Meine Chucks sind halt auch keine Wanderschuhe. Aber der Latschenkiefer von Klosterfrau hats wieder hinbekommen - und heute, das schwöre ich mir beim reichhaltigen Frühstücksbüffet - werde ich mich in einen Touribus setzen und mir das ganze mal vorführen lassen.

Doch zunächst gilt es, den ramponierten Transportkarton so zusammenzuflicken, dass ich ihn a.) nach Porto in mein Endhotel schicken und b.) überhaupt noch einmal, nämlich für den Rückflug, benutzen kann. Es dauert fast eine Stunde, um das riesige Papphaus wieder zusammenzufalten und dann zur Post zu schleppen. Gottseidank ist die geradewegs nur 5 Minuten entfernt, denn die Pappe ist auch gefaltet riesig und nicht gerade ein Leichtgewicht.

In Portugal muss niemand in der Post (Correios genannt) anstehen. Da haben die ein ganz tolles System. Sich abgeguckt. Jeder, der rein kommt, zieht an einem Dispenser eine Nummer. Arbeitsamtmäßig. Dann kann er sich irgendwo einen Platz suchen und es sich bequem machen. Irgendwann ertönt dann das Standardsignal für "der nächste Bitte" - bei uns Deutschen freilich den Arbeitsamtreflex auslösend - und dann hat man einen freien Schalter. Finde ich super.
Ein überaus freundlicher Mitarbeiter nimmt das Paket entgegen, verschickt es für 8 Euro und ich bekomme sogar noch 10 Postkarten für Mama, Freunde und Bekannte oben drauf.
Ich mag die Correios.

Und da ich nun schon mal da bin, in Lissabons größtem Shopping-Center, dem "El Corte Inglés", kaufe ich gleich für morgen (endlich gehts los!) ein: Müsliriegel, Saft, Pflaster, Tape. Ein Riesenbeutel. Ich zahle 7.60 Euro. Portugals Preise sollen mit den deutschen vergleichbar sein. Wenn das stimmt, habe ich das billigste Riesenshopping-Center Portugals entdeckt.

Und dann, es ist Mittag, eigentlich Siesta-Zeit, laufe ich den Parque Eduard VII hinab, dort, wo die Touribusse abfahren, kaufe mich für 15 Euro in die illustre Runde ein und fahre los. Witzigerweise führt mich die etwa 2-stündige Fahrt durch das Verkehrschaos dieser Metropole an exakt den Plätzen vorbei, de ich gestern schon by foot erobert hatte. Freilich gestern ohne die vielen interessanten Infos der freundlichen Reiseführerin, die in 3 Sprachen ihr Bestes gibt.

Mit an Bord: eine Familie aus Brasilien. Unschwer zu erkennen an der Beflaggung, die Vater Brasilio stolz am Körper trägt. Aus Pietätsgründen habe ich mir verkniffen ein Foto zu schießen, aber man kann sich das einfach so vorstellen: T-Shirt, Armband, Gürtelschnalle, Schlüsseband, Socken und sogar die Fotokamera in grün-gelber Brasilienfarbe. Abenteuerlichst turnte er über und unter den Sitzen um alle möglichen und (bis dato) unmöglichen Positionen für ein Foto zu erreichen, um seine Familie vor den wunderschönen architektonischen und historischen Perlen der Hauptstadt abzulichten. Bisweilen auch nicht ohne Kolatteralschäden - so hatte ich ihn das eine oder andere mal im Kreuz. Aber soll er mal.
Zudem noch eine 5er-Gruppe hübscher Kaugummiamerikanerinnen, die ohne Probleme für den Cast eine Daily Soap einer M-TV-Serie ihre Frau gestanden hätten. Hübsch, laut, Kaugummi.

Mir knurrt der Magen. Ich steige aus und in das nächste Restaurant ein. Ich probiere die Pastel de Bacalhau, Fischbällchen - gestampfte Kartoffel, Gemüse und Bacalhau (Portugals Lieblingsfisch) in einem Bällchen, das frittiert wird. Lecker. Mit Sagres noch leckerer.

Ich verspüre immer mehr, wie mir die Stadt, so schön sie auch sein mag, den Hals zuschnürt. Dieses Touristengetue nervt mich - bin ich doch eigentlich hier um Rad zu fahren, Kilometer zu fressen, Natur zu sehen. Und nicht, um mich als Hoteltourist mit allem Pipapo bespaßen zu lassen. Nur noch heute Abend, sage ich mir. Genieß den Abend, morgen wirst du fahren können ... endlich!

Notiz: Meine Pläne, Gewicht zu sparen, in allen Ehren, aber eine Jeans, die eigentlich 2 Nummern zu groß ist (man weiß ja nie) ohne Gürtel zu tragen ist Folter. Aber dafür 300 g Ledergürtel gespart ...

Am Nachmittag ersteige ich in größter Hitze den Berg, der zum Castel Sao Jorge führt. Das Castel thront hoch über der Stadt, ich möchte es sehen. Im Schweiße meines Angesichts (und gehbehindert, weil mir die Hose in den Knien hängt), kämpfe ich mich tausende grob behauener Stufen empor. Etliche Touribusse überholen mich. Ich werde mitleidsvoll bis belustigt angeschaut. Aber Ihr, Ihr habt es Euch eigentlich gar nicht verdient!
Der Eintritt ins alte Gemäuer kostet 10 Euro. Ich verzichte.

Dafür finde ich, hinter zwei, drei engen Gassen versteckt, dort, wo kein Touri hinkommt, einen Garten Eden. Ein paar - musste ja so sein - verliebte Pärchen haben es sich in dem rosenumrankten Rungang, der zwar etwas heruntergekommen aussieht, aber nichts von seinem romantischen Charme verloren hat, bequem gemacht, turtel miteinander oder umarmen sich schweigend und genießen den fantastischen Blick, den man auf den Westteil der Stadt mit der großen Tejo-Bucht hat.



Auch ich ergattere einen solchen Platz, atme tief durch, lass mir die frische Meeresbrise um den schweißnassen Körper wehen und schreibe meine Postkarten. Der Rosenduft benebelt mich fast, der Ausblick schmeichelt sich ein, der Flow dieser tollen Stadt besticht - und so schwärme ich nach Hause von einem Lissabon, dessen Facetten ich nur habe funkeln sehen, nicht wirklich erfahren können, aber von einem Lissabon, das mit Sicherheit eine Reise wert ist, das eine der schönsten Metropolen Europas, wenn nicht der Welt, ist, mit einem Charme, den man nicht beschreiben kann, den man fühlen muss. Und das dann am besten so, wie es die Jungs und Mädchen, die mich hier umsäumen, tun: Mit einem lieben Menschen an seiner Seite, mit dem man all die schönen Dinge hier teilen kann.

Ich mache mich auf den Heimweg. Zu viel Romantik benebelt. Oder macht traurig. Wie man es nimmt. Unterwegs kaufe ich mich 10 Pastel de Bacalhau, nehme im Hotelzimmer ein langes, heißes Bad, massiere meine Waden und schaue einen fiesen Film auf RTL, wobei ich die frittierten Leckereien verspeise.
Morgen - endlich - geht es los.
Morgen - endlich - kann ich wieder kurbeln.
Fahren.
Lenken.
Kann das tun, weswegen ich hier her gekommen bin.

Vieles will ich sehen, vieles wird schwer, das weiß ich. Aber es wird wunderbar, auch dessen bin ich mir sicher.

Zwar weiß ich noch nicht so genau, wie ich den Mordsverkehr Lissabons (der sich größtenteils auf holprigem Kopfsteinpflaster von 1145 abspielt) überleben soll, aber auch dafür wird sich eine Möglichkeit finden. Mein "Portugal für Radfahrer"-Buch empfiehlt, sich vor dem abenteuerlichen Fahrstil der Portugiesen in acht zu nehmen. Es empfiehlt, nicht die Küstenstraße zu nehmen. Es empfiehlt, am besten das Rad in die Bahn zu laden und sich bis Cascais, eines meiner Ziele für morgen, fahren zu lassen.
Für mich kann das nichts sein. Ich bin Radfahrer. Keine Mutti.

Morgen also: Früh aufstehen, ausgiebig frühstücken und so vielleicht dem Moloch Lissabon vor der Rushhour entkommen. Die Sonne geht unter, sehr schnell, wie es in Portugal üblich ist, und ein fantastischer Sternenhimmel funkelt wie ein Teppich aus Myriarden Diamanten über mir. Ich träume mich ins Morgen. Hören schon, wie meine Kette über die Ritzel fliegt, ich meinen Atem stoßweise alle paar dutzend Meter hinter mir lasse. Ich freue mich.

Ach, und heute habe ich wieder 2 Radfahrer gesehen. Das macht dann schon 5 in zwei Tagen. Morgen werde ich den Schnitt erheblich erhöhen.

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