Ankommen in einem Hotel ist immer wie der Eintritt ins Paradies. Umso stärker noch der Eindruck, je fertiger man ist. Gestern war ich am Ende, als ich den Chip in den Türöffner schob und mein Teilzeit-Reich betrat. Gestern war ich vollkommen fertig, nicht imstande zu auch nur der kleinsten, koordinierten Handlung.
Wie ein alter Mann taumelte ich ins Bad, ließ die Wanne voll laufen, taumelte an die Minibar und plünderte sie, taumelte ins Bett und sah schlimme Filme auf RTL, taumelte kurz in die Stadt, um meinen stechenden Hunger zu stillen. Taumelte in den Schlaf, der schnell kam und lange blieb.
Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Ich bin ein Naturfreund, liebe das Campen über alles und kann mir kaum etwas Schöneres vorstellen, als sein Zelt - sein Heim - vollkommen frei irgendwo in der Natur aufzustellen, in ihm zu schlafen und morgens von einer frischen Brise und den Geräuschen des Waldes geweckt zu werden.
Aber gestern, gestern brauchte ich die Solidität eines Hotels. Gestern gab es keine Alternative. Gestern musste es ein Hotel sein - alles andere wäre undenkbar gewesen.
Und so wache ich heute um 7 Uhr - auch ohne Wecker - pünktlich auf. Es ist schon interessant, wie diszipliniert der Körper ist, wie schnell sich die innere Uhr auf Termine, auf Regelmäßigkeiten einstellt. Den gesamten Trip über brauche ich nicht ein mal einen Wecker, ich kann mich auf meine Uhr verlassen, die in meinem Kopf tickt. Aber nicht heute, lieber Körper, ist nett gemeint, aber heute schlafe mal. Heute ruhe dich aus!
Ich drehe mich um, schmatze wohlig schnurrend in mein Kissen und dämmere wieder hinüber. Draußen, hinter einem lichtdichten Vorhang erwacht die Stadt, sprühen Frauen mit Schläuchen den Staub der Nacht von den Gehsteigen, liefern Autos ihre Wahre aus und gehen die Männer in die Pastelarias, um ihren ersten Bica des Tages zu trinken.
Oben, im ersten Stock dieses schönen Hotels, liege ich mit dicken Waden und drehe mich um - es ist heiß, fast unmöglich zu schlafen. Aber sofort spült mich wieder eine Welle Müdigkeit hinüber in die Traumwelt ...
Irgendwann stehe ich dann doch auf, immerhin hat die Frühstückslounge nur bis 10 Uhr geöffnet. Ich labe mich ausgiebig am Büffet und treffe in der Lounge eine Gruppe Radfahrer. Verschwitzt, fertig und heiß atmend stehen rund 10 Kollegen in Trikots und Helmen an der Rezeption und wollen nur noch eins: Ein Zimmer.
Ich nutze die Gelegenheit, denn ich hatte eine Frage an den Rezeptionisten und deshalb meine Karte mit hinunter genommen, und spreche die Radfahrer an. Frage, ob sie mir einen Streckentipp geben könnten, denn ich plane schon den morgigen Abschnitt.
Leider können sie mir nicht helfen - sie kommen gerade aus Spanien und fahren runter nach Lissabon. Dafür kann ich ihnen ein paar Tipps für ihre nächsten Etappen geben und sie warnen, vor der Hitze in der Serra de Alvelos. Das hört der freundliche Rezeptionist und pflichtet mir bei. Er sagt: "Yesterday was the hottest day in whole Portugal - here in Castelo Branco. 46 Degrees in the shadows."
Wie bitte? Ich glaube, ich höre nicht richtig?!? 46 Grad im Schatten - gestern? Und ich mittendrin? Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Die Belgier gehen auf ihre Zimmer und ich in die Stadt. Besorgungen machen. Schwere Teile meiner Ausrüstung nach Hause schicken.
Zunächst packe ich ein 3,5 Kilogramm schwere Paket, schicke die schwere Mag-Lite, die ich nicht ein einziges mal gebraucht habe, meine schwere Jacke (natürlich auch nicht gebraucht) und meine lange Radlerjacke heim. 34 Euro kostet mich der Spaß, aber dafür wird sich eine erstaunliche Wirkung am Heck erzielen lassen. Was dreieinhalb Kilo weniger ausmachen, vor allem am Berg, werde ich bald spüren können.
Dann schlendere ich durch die Stadt, suche ein Internetcafé, finde aber keins. Ich bin lazy heute. Treibe mich in der heißen City herum, aber verzichte aufs Touriprogramm. Ein bisschen bedauere ich es, denn die Burg, die hoch über den weißen Häusern von Castelo Branco thront, wäre sicher interesant gewesen. Zumal sie bestimmt einen grandiosen Ausblick auf die Serra de Alvelos, mein Todesgebirge geboten hätte.
Aber heute, heute bin ich faul. Heute meide ich jedwede Anstrengung. Bei diesen Temperaturen einfach nur herum zu laufen ist schon Anstrengung genug.
Ich kaufe ein bisschen ein und finde dabei in einer Nebenstraße einen Laden für Fahrräder, Rennräder im Speziellen, und sehr viel Zubehör. In ihm der Verkäufer, der mich an Erik Zabel erinnert, und ein Radfahrer, dessen Rad gerade an der Decke hängt zum Einstellen der Schaltung. Ich gehe hinein und begrüße die beiden. Zunächst misstrauisch, später, als ich erzähle, dass ich per Bike Portugal bereise, sehr freundlich, sprechen sie mit mir.
Von ihnen bekomme ich meine Streckentipps für morgen. Ich will nach Lousá. Dazu muss ich durch einen großen Gebirgszug, laut Karte. Und Lousá scheint mir ebenso weit von Castelo Branco entfernt zu sein, wie Castelo Branco von meinem gestrigen Startpunkt Tómar. Und noch einmal 130 Kilometer durch Gebirge bei über 40 Grad im Schatten - das halte ich nicht durch! Da kann ich mich heute erholen wie ich will ...
Aber die beiden beruhigen mich: "Not so much climbing!" versichern sie mir. Die Berge auf der Karte sehen aber wesentlich steiler aus, als die gestrigen. "Doesn´t matter, no climbing!" bestätigt der Andere. Ich beschließe, noch weiter zu fragen.
Wir schnacken noch eine Runde. Es macht Spaß, mich mit einem anderen Radfahrer auszutauschen. Ich verabschiede mich, die beiden wünschen mir viel Glück.
Eine perfekte Dorada grilhada landet in meinem Magen. Gestärkt und zufrieden schlendere ich zurück ins Hotel, telefoniere mit Familie und Freunden und mache mich an den einzigen Arbeitseinsatz heute: Radputzen.
Zentimeterdicken Staub der Berge wische ich vom Rahmen. Aus den Profilen meiner Schwalbe Marathons hole ich spitze Steine, sogar zähen Teer muss ich entfernen. Ich öle und fette Kette und Ritzel, bringe alles auf Hochglanz und freue mich, wie sie da auf meinem Balkon steht, glänzt und glitzert, kraftvoll und dynamisch, bereit für den nächsten Einsatz. Morgen. Morgen, wie nah das klingt. Morgen schon ist mein Ruhetag vorbei.
Es muss ja weitergehen. Und, um ehrlich zu sein, witzigerweise sind die Qualen von gestern vergessen. Die Knie melden sich ab und zu mal, klopfen leicht an, erinnern mich daran, dass ich nicht Superman bin. Aber sonst - keine bleibenden Schäden.
Hoffe ich.
Ich gönne mir ein Abendmahl wahrhaft riesigen Ausmaßes. Schaue noch eine Weile CNN und schlafe dann ein. Diesmal hilft mir die Klimaanlage, schneller in den Traum zu finden. Morgen wird mich mein Wecker wieder aus ihm holen. Und morgen geht es wieder los. Auf die Speedmachine, in die Pedale, auf die Strecke, in die Berge ...
Doch morgen führt mich der Kurs wieder nach Westen. Raus aus den Bergen. Ich will wieder an die Küste.
Im kühlen Luftstrom der Klimaanlage liegend, schlafe ich ein. Meine Knie zucken ab und zu. Sie können es gar nicht erwarten. Oder wehren sie sich ...?
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